15.06.08 12:24
Hei,
gestern im LørdagsMagasinet bei TV2 (18:45) kam ein interessanter Einschlag über den norw. Friedensforscher Johan Galtung, der zwölf Sprachen spricht. Galtung erzählte u.a. über die Eignung verschiedener Sprachen als Medium bei Friedensverhandlungen.
Er sagte, Norwegisch und Englisch eigneten sich schlecht als Verhandlungssprache, sind zu absolut, kein Konjunktiv; es ist z.B. schwierig zu sagen: "hvordan ville det være dersom man muligens kunne tenke seg at..."
Da seien Deutsch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Russisch, Arabisch besser geeignet. Und Japanisch ist ein Kapitel für sich. Dazu brachte Galtung noch ein lustiges Beispiel.

Was meinen die Sprachwissenschaftler dazu?

Ingeling :-)

15.06.08 14:12
Bin kein Sprachwissenschaftler, aber man merkt, dass Du schon ganz schön lange in N bist. ;-) Der "Einschlag" verrät Dich... ("Beitrag" käme mir passender vor).
Man sagt ja, dass Französisch die Sprache der Diplomatie sei. Grammatikalisch mag das zutreffen, aber ich finde man sollte auch die Anzahl/Vielfalt der Wörter, die eine Sprache besitzt, betrachten, denn manchmal ist es auch sehr wichtig, dass man das genau passende Wort verwenden kann, damit es nicht zu Missverständnissen kommt.
Japanisch ist glaub ich wirklich nicht so geeignet, weil es so viel ich weiß kein "Nein" gibt, sondern höchstens ein "Ja, aber". Das Wort "Nein" mag existieren, wird aber aus Gründen der Höflichkeit nicht verwendet.
VG V0

15.06.08 15:21
Mir scheint, man redet in Norwegen bei Verhandlungen gern um den heißen Brei herum, wohingegen die Deutschen ja bekannt und berüchtigt dafür sind, direkt zur Sache zu kommen. Dementsprechend müsste Norwegisch eigentlich gut für vorsichtige Verhandlungen geeignet sein. Zum Beispiel kann das Wörtchen "kan" in mehr Situationen verwendet werden als im Deutschen, gerade um Unsicherheit anzuzeigen.

15.06.08 15:57
Interessante Meinungen!
Haha VGVO, hast natürlich Recht: "Beitrag" muss es heissen, nicht "(Blitz-)Einschlag" ...
Ingeling

15.06.08 16:20
Also, ich spreche zwar "nur" 5 Sprachen, nicht 12 wie der Herr Galtung, aber ich hatte eigentlich immer das Gefühl, es hängt von der Kultur des Sprechenden ab, wie direkt etwas formuliert ist, nicht von der benutzten Sprache. Es gibt immer eine Möglichkeit, das auszudrücken, was man sagen möchte; manchmal ist es leichter und manchmal halt umständlicher.
Das wirkliche Problem ist vermutlich der interkulturelle Unterschied der Verhandelnden. So reden Franzosen zum Beispiel liebend gern um den Brei herum. Mir wurde schon das ein oder andere Mal vorgeworfen, ich hätte zu "deutsch" geantwortet. Die Nachfrage ergab, dass mein Brief sprachlich astrein war, nur war ich zu direkt, ich hätte noch "Füllsätze" einbauen sollen...
Hilsen
Daniela

15.06.08 18:03
Aha,
Daniela hattest du da in norwegischer Sprache zu "deutsch" geantwortet?
Mir ist früher mal aufgefallen, dass es einige Worte im Norwegischen einfach nicht gibt. Fragt sich, ob sie auch im kollektiven Bewusssein nicht existent sind. Über die "Rabenmutter" haben wir hier ja schon gesprochen. Aber da sind auch mehr schwerwiegende Worte.
Hilsen Ingeling

15.06.08 18:38
Nee, auf Französisch! Und absolut korrekt und höflich. Aber halt ohne drumherumzuschwafeln...
Daniela

15.06.08 20:49
:-)
Ingeling

15.06.08 20:59
das eben war auch zu kurz. Wollte sagen: jaja, die Franzosen!
hilsen Ingeling :-)

16.06.08 12:30, Geissler de
Wenn ausgerechnet der Mangel an Zwischentönen Norwegisch und Englisch als Verhandlungssprachen abqualifizieren soll, sollte Japanisch ideal sein.
Und ja, es gibt im Japanischen ein Wort für "nein", es lautet "いいえ" (iie; gespannt, ob die Zeichen richtig rüberkommen ...). Ich kann auf Japanisch auch "Das ist Blödsinn" sagen.
Die Frage ist nur, ob ich es tue, und das ist keine Frage der Sprache, sondern der Kommunikationskultur (und ich bin kein Anhänger der Sapir-Whorf-Hypothese, nach der die Sprache das Denken formt). Wenn der Japaner höflich (man könnte auch "diplomatisch" sagen) "Das geht nicht" ausdrücken will, sagt er "Das könnte schwierig werden", und solange sein Gegenüber mit dieser Gesprächskultur vertraut ist, versteht er das ebensogut, wie wenn er "Völlig ausgeschlossen" gesagt hätte.
Ich halte nicht viel von Herrn Galtungs These. Allein die Tatsache, daß jeden Tag erfolgreich mithilfe der Sprachen Englisch und Norwegisch verhandelt wird, müßte ihn stutzig werden lassen. Und der Grund dafür, daß Japanisch so gar kein Rolle im internationalen Geschäft spielt, liegt einfach daran, daß außer den Japanern und ein paar spinnerten Hanseln kein Mensch Japanisch kann.

Gruß
Geissler

16.06.08 13:53
Hei Geissler,
du solltest das Interview mit Galtung selbst gehört haben. Ich habe es nur zu krass wiedergegeben. Er stellt da natürlich keine These auf. Im Anschluss an "...norsk og engelsk er for absolutt - det finnes ikke konjunktiv..." sagte er weiter "...tysk, fransk, spansk ... (osv.) er så rike på konjunktiv ...(die im Norwegischen nicht gehen, mein Kommentar). Und Japanisch wollte natürlich auch er nicht als Verhandlungssprache hervorheben.
Ich persönlich halte sehr viel von Johan Galtung. Herrlicher Typ. Oder findest du etwa Bondevik mit seinem von Rimi-Hagen gesponserten Friedensinstitut besser?

Übrigens: ich kenne nicht die Saphir-Whorf-Hypothese, aber dieser Gedanke ist mir auch selbst gekommen, besonders nachdem ich angefangen habe, auf norwegisch zu "denken" und später als ich durch das Radio und Musik meine alte Muttersprache wieder neu "entdeckte"

Hilsen
Ingeling

16.06.08 17:20, Geissler de
Liebe Ingeling,
Du bist wirklich schon zu lange in Norwegen. :-)
du skulle (ha) hørt det selv -> du hättest es selbst hören sollen

Das ist aber, glaube ich, gar nicht so wichtig, denn ich bestreite schon die grundlegende Prämisse, daß nämlich bestimmte Sprachen für bestimmte Zwecke besser geeignet sein sollen als andere. Das kann höchstens auf der Ebene der Sprachkunst für bestimmte, sehr konkrete Phänomene zutreffen (z. B. eignet sich das Japanische nicht für Reime). Sonst gilt, daß grundsätzlich alles in jeder Sprache ausgedrückt werden kann.
Derartige Thesen werden oft zur Betonung der eigenen Einzigartigkeit erhoben. So rühmen sich die Japaner der "Uneindeutigkeit" (aimai) ihrer Sprache. Wenn man nun aber das BGB anschaut, das im angeblich für Vertrags- und Gesetzestexte so geeigneten Deutsch verfaßt und in großen Teilen in Japan übernommen wurde, so ist der japanische Text glasklar und für Japaner verständlicher als der deutsche für Deutsche.
Was den Konjunktiv betrifft: Klar gibt es den im Norwegischen nur rudimentär, aber dafür hat das Norwegische die Möglichkeit, Dinge wie Irrealis, Konditionalis etc. auf analytische Weise mit Hilfsverben zu bilden (das Deutsche ist auch schon auf dem Weg dahin). Grundsätzlich hat jede Sprache einen Weg gefunden, (reale und irreale) Bedingungen auszudrücken (das Japanische sogar 4 verschiedene!). Es ist ein Irrtum, zu glauben, dies über eine Verbform zu machen sei anderen Methoden überlegen.

Und was Johan Galtung betrifft, so kannte ich den bisher nur vom Namen her. Die Lektüre diverser Texte im Netz über ihn, darunter die WP-Artikel auf Deutsch, Norwegisch und Schwedisch, haben in mir den Verdacht aufkeimen lassen, daß der gute Mann etwas verwirrt sein könnte. Übrigens scheint er sich bei der Anzahl der Sprachen, die er beherrscht, selbst nicht ganz sicher zu sein.

Gruß
Geissler

16.06.08 21:04
Hei Geissler,
ups, ist "du solltest es selbst gehört haben" falsches Deutsch? Na, Hauptsache es wird verstanden.

Was Galtung meint ist, dass bestimmte Sprachen als gemeinsame Verhandlungsbasis für verschiedensprachige Partner besser geeignet sind als andere. Galtung rühmt sich ja nicht der eigenen Sprache.
Er scheint ja in Norwegen mächtig angefeindet zu werden (Kommentar eines Lesers zum norw. Wikipedia-Artikel (WP) über Galtung: "det mest usaklige og tendensiöse jeg har sett på Wiki. Les heller den engelske versjonen" ...und lies neben der englischen Version auch die deutsche, möchte ich hinzufügen.) Und sein eingeschworener Feind scheint Per Egil Hegge zu sein - na dann. Was du mit der Anzahl seiner Sprachen meinst, ist mir etwas unklar. Vor einiger Zeit kam übrigens mal ein längerer Dokumentar über Galtung im TV, der war gut!

Danke für deinen Hinweis auf die Sapir-Whorf-Hypothese (die Sprache formt das Denken), auch wenn du kein Anhänger davon bist - das interessiert mich. Nachdem ich nach längerer Zeit mal wieder ein deutsches Buch las, bekam ich ein richtiges Aha-Erlebnis (Kempinski "Tadellöser & Wolff" und mehr von ihm - die Bibliothek musste ständig deutsche Bücher für mich von draussen hereinholen, hihi!) Hast du mal in die norwegische Version von Salingers "Fänger im Roggen" geschaut? Grauenhaft! Verständlich, dass mein Sohn nichts damit anfangen konnte ...

Hilsen
Ingeling

17.06.08 09:18
... ein paar spinnerten Hanseln kein Mensch Japanisch kann.

Hm, Du scheinst ja eine ganze Menge über Japanisch zu wissen. Bist Du jetzt auch ein "spinnerter Hansel"? :-)
Ich werde übrigens auch öfter so bezeichnet (als spinnert, nicht als Hansel, ich bin ja nicht in Bayern), und zwar weil ich Norwegisch lerne. "Norwegisch? Wozu lernt man das denn?"
Hilsen
Daniela

17.06.08 10:44, Geissler de
Ich geb's zu, ich bin einer von denen. :-)
Komisch eigentlich, daß man sich quasi dafür rechtfertigen muß, daß man die Sprache eines unserer europäischen Nachbarländer lernt, nicht wahr? Ich könnt's ja noch bei Tagalog oder !Xóõ verstehen (das gibt's wirklich!).

Gruß
Geissler

17.06.08 11:29
Die meisten Leute verstehen wohl einfach nicht, dass Sprachen lernen und sprechen tatsächlich Spaß machen kann! (Zweithäufigste Frage: "Brauchst Du das für Deinen Job?")
In einem kann ich den Herrn Galtung aber verstehen, ich bin mir auch nicht immer ganz einig, wie viele Sprachen ich kann. Liegt vermutlich an der Definition: wann "kann" ich eine Sprache? "Spreche" ich wirklich Norwegisch, wenn ich Aftenposten lesen kann und an der Käsetheke ohne größere Schwierigkeiten Jarlsberg kaufen kann? Ich scheue da immer ein bisschen vor zurück. Andererseits kenne ich einige, die behaupten Englisch zu sprechen, nur weil sie den neuesten Britney Spears-Hit mitsingen können...
Daniela
PS: Tagalog, hm, könnte ich auch noch auf meine Liste setzen... ;-)

17.06.08 14:11
Hei Ingeling,
Kempinski "Tadellöser & Wolff" >> nix Kempinski , Kempowski , K - e - m - p - o - w- s- k - i. Kempinski ist eine Fressbude in Berlin.

Lemmi

17.06.08 14:27, Geissler de
Übrigens, Ingeling, ist die deutsche Version des Fängers ebenfalls grausam. Böll, der den Roman übersetzt hat, konnte offensichtlich nicht besonders gut Englisch, und so wimmelt der Text von Anglizismen. Und er hat es glatt fertiggebracht, closet mit "Klosett" zu übersetzen.
Gruß
Geissler

17.06.08 17:04
Lemmi,
armer Kempowski - Würstchenbude - wie konnte ich nur, hihi

Geissler,
ich hatte den Salinger annodazumal auf deutsch gelesen und war damals begeistert. In Norwegen kaufte ich es für meinen Sohn, aber er blieb völlig verständnislos. Hier ist es in einem total künstlichen "Jugendstil" geschrieben, und ich erkannte es überhaupt nicht wieder. Das Original soll ja auch kritisiert worden sein - vielleicht hat Böll es schöner gemacht? Sozusagen für deutsche Seelen ...? Jetzt halte ich aber den Mund!

hilsen
Ingeling :-)

17.06.08 20:56
Ich kann's nicht lassen:
"closet" heisst doch u.a. auch Klosett?

Ingeling

18.06.08 08:25
Also, WC heißt im Englischen zwar "water closet", aber ich habe noch nie erlebt, dass jemand mit "closet" (alleine) das Klo meinte. Die übliche Bedeutung ist (Wand)Schrank oder Abstellraum.

Und um das mal à la Lemmi zu komplettieren: die berühmte "Leiche im Keller" ist für den Angelsachsen das "skeleton in one's closet", und das Skelett liegt wohl auch eher im Wandschrank als auf der Toilette :-)

Daniela

18.06.08 09:24, Geissler de
Genau. Und wenn ein Schwuler "out of the closet" kommt, dann hat er nicht gerade seine Notdurft verrichtet.

Gruß
Geissler

18.06.08 11:22
Haha, war es das beim "Fänger im Roggen"?
Ich erinnere mich nicht mehr so an den Text.

Hilsen Ingeling

19.06.08 09:02, Geissler de
Nein, der Erzähler mokiert sich anläßlich eines Klavierkonzerts, daß man immer von den falschen Leuten Beifall bekäme, und wenn er selbst Klavier spielen würde, täte er es im (Wand-)Schrank ("If I were a piano player, I'd play it in the goddam closet."). Klavier auf dem Klo? Naja, wenigstens eine schöne Alliteration.

Übrigens ist Böll nicht alleine schuld, wie ich nachgelesen habe. Er hat nur eine bestehende Übersetzung überarbeitet, und diese wiederum basierte auf einer von Slang und Kraftausdrücken teilweise bereinigten britischen Version. Wahrscheinlich ist die norwegische Version näher am Original als die, die Du in Erinnerung hast. :-)

Gruß
Geissler

19.06.08 13:51
Hei Geissler,
dein Wissen ist unerschöpflich!
Aber deine Worte entschuldigen nicht den "künstlichen" Jugendjargon der norw. Version, der das Buch für jugendliche Leser unzugänglich macht.
Sorry Geissler, ich bin z.Zt. so in Kampfhumor - wegen eines blöden Nachbarknatsches hier bei mir ...

Hilsen Ingeling ;-)