14.02.15 15:39
Warum neue Rechtschreibung, eigentlich? Warum wollt ihr nicht mehr ß schreiben? Wenn man einst die Kunst das ß richtig zu verwenden gelernt hat bereitet es einem ein ständiges Ärgernis allerseits ss zu sehen. Das verwüstet die schwer errungene Bildung! Daher lese ich am liebsten nur ältere Litteratur. Nimm z.B. das Wort "essen": Es heißt "er ißt". Es ist kaum zu glauben und zwar häßlich daß die Leute jetzt "er isst" schreiben. Warum habt ihr "das geliebte ß" aufgegeben?

14.02.15 16:38
Das ß ist mit der neuen Rechtschreibung nicht aufgegeben, es gibt es weiterhin. Die Anwendung wurde nur systematisiert - eine der wenigen guten Änderung, die mit der neuen Rechtschreibung gekommen sind. ß wird nach langen Vokalen und nach Diphthongen (Zwielauten) geschrieben, zB in Fuß (lang), aber nicht in Fluss (kurz).

14.02.15 17:56
Wann ist der Vokal lang?

14.02.15 19:31
Wenn er nicht kurz ist ...

Ich habe die ss-/ß-Regelung auch für gut gehalten, bis mir klar wurde, dass sie eigentlich nur verständlich ist, wenn man die alte Schreibweise kannte. Denn man schreibt ja nicht nach jedem langen Vokal ß (er las) oder nach jedem kurzen Vokal ss (der Bus). Wie bringt man den Kinden heute bei, wie man das unterscheidet? Eigentlich hat man das Problem doch nur verlagert, oder? Meine wie auch immer errungene Bildung jedenfalls sehe ich dadurch nicht gefährdet, geschweige denn verwüstet. (Was immer verwüstete Bildung sein mag.)

Ansonsten hat 16:38 natürlich vollkommen recht - das ß gibt es weiterhin. Mir scheint nur, dass das nicht ausreichend kommuniziert wurde, denn auch vielen Deutschen (vermutlich auch Österreichern) ist das leider nicht klar. Die Schweizer leben ohne ß wahrscheinlich auch nicht schlechter, auch wenn ich in dem Schweizer Roman, den ich gerade lese, ständig über die "Strassen" usw. stolpere, weil ich den Vokal inzwischen automatisch kurz lese, wenn ein ss folgt.

@OP: Literatur auf Deutsch nur mit einem t. Und vor "daß/ss" immer ein Komma. Ansonsten wird's hässlich. ;-)

14.02.15 20:21
Zu langem/kurzem Vokal kommt noch eine weitere Regel, nenne wir sie Stammprinzip, die bei "las" zur Anwendung kommt: wenn im Wortstamm das S stimmhaft ist, bleibt es erhalten. Das stimmlose s in "las" ist dann eine Auslautverhärtung (so wie am Wortende zB g als k, d als t gesprochen wird). Bei Verlängerung wird es wie üblich wieder stimmhaft (las > lasen). Es wäre ziemlich unpraktisch, hier von ß zu s zu wechseln und würde dem Prinzip bei anderen Konsonanten, die der Auslaufverhärtung unterliegen, widersprechen.
(Anmerkung für Sprachler aus Schwaben, Bayern und dem sonstigen Sprachsüden: ich weiß, man spricht von Lenis und Fortis, muss also nicht kommentiert werden.)

Was den Bus angeht: hier hätte man konsequenter sein und durchaus "Buss" schreiben können - so wie die Norweger. Ist halt Latein und nicht Deutsch.

15.02.15 00:57
Was den “Bus“ angeht: Wo ich herkomme, benutzt man eher die (lateinische) lange Form “Omnibus“ als die
Kurzform. Deshalb hätte ich es als sehr befremdlich empfunden, wenn aus dem “Bus“ ein “Buss“ oder - noch
schlimmer - aus dem “Omnibus“ ein “Omnibuss“ (Schauder!) gemacht worden wäre.

15.02.15 18:12, Jørg li
Systematisiert war der Gebrauch von s und ß vor der jüngsten Rechtschreibreform auch schon, nur waren die
Regeln differenzierter. Sie waren nämlich von der deutschen Frakturschrift wie auch der deutschen Schreibschrift
geprägt, wobei vor allem die deutsche Schreibschrift (Kurrentschrift, Sütterlinschrift) heute — abgesehen von
Historikern und Ahnenforschern — kaum noch jemand lesen kann. Bei diesen Schriften unterschied man zwischen
einem „langen s“ und einem „runden s“, wobei das runde s stets und ausschließlich am Silbenende stand. Das
„scharfe s“ (ß) wurde durch eine Ligatur aus langem s und z gebildet. Ein doppeltes s (ss) wurde nur innerhalb
eines Wortes geschrieben und durfte nie am Silbenende stehen; außerdem mußte (!) es stets mit zwei langen s
gebildet werden. Dieses Doppel–S war dazu Trennstelle bei der Silbentrennung, wobei das lange s beibehalten
wurde. — Das runde s diente als wichtige Erfassungshilfe.

15.02.15 18:18, Jørg li
Was übrigens nur wenige wissen: Die deutsche Schrift für den allgemeinen Gebrauch wurde von Hitler
abgeschafft. Leider!

15.02.15 19:46
Das „scharfe s“ (ß) wurde durch eine Ligatur aus langem s und z gebildet.

Wenn ich mich recht erinnere, wird im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm immer noch “sz“ statt “ß“
geschrieben.

Viele Grüsze
Birgit

18.02.15 15:36, Geissler de
Noch eine kleine Anmerkung: Es gibt in der Typographie zwei verſchiedene "ſcharfe S".
Nur das eine davon iſt eine Ligatur von S und Z, das betrifft aber in erſter Linie das
Fraktur-ß. Das in der Antiqua gebräuchlichſte ß ist, wie man unſchwer erkennen kann, aus
ſ+s gebildet.

18.02.15 15:39, Geissler de
Beim "Omnibus" kann man ja noch diskutieren, wegen Latein und so.
Aber dass "Ergebnis" und "Gefängnis" nur mit einem S geschrieben werden (im Plural
taucht dann das zweite wie von Zauberhand auf), ist nur ein weiterer Beleg für die
Inkonsequenz und Schlamperei der Reformer.

18.02.15 15:49, Geissler de
A propos "ältere Litteratur" (die "Litteratur" wurde früher tatsächlich so geschrieben):
Es gibt bekanntlich nichts Neues unter der Sonne; auch die ss-Schreibung nach kurzem
Vokal ist ein alter Hut und war in Österreich Ende des 19. Jahrhunderts amtlich.

Stichwort "Heysesche s-Schreibung".